Mittwoch, 4. Juni 2014

Ballesterer 92



Rezension


Ballesterer
Nr. 92, Juni/Juli 2014
98 S.






Zur anstehenden WM gibt es wieder eine hundertseitige Ausgabe des Ballesterer. Spannend an dieser WM ist die Thematisierung der sozialen Brüche zwischen der um Unsummen fabrizierten schönen neuen FIFA-Welt und der sozialen Lage des Großteils der Menschen in Brasilien. Mit einem Knalleffekt wurde dies vor einem Jahr mit den Großdemonstrationen aufs Tapet des Weltfußballs gebracht. Robert Florencio und Reinhard Krennhuber beschäftigen sich in ihrer Bestandsaufnahme damit: „Die Bevölkerung hinterfragt die Milliardenausgaben, die FIFA und die Mitte-Links-Regierung stehen am Pranger. Retten kann die Stimmung nur der sechste Titel, aber selbst dann bleibt die Frage: War es eine WM der vergebenen Chancen?“
Ein Thema, das fast interessanter ist als die WM an sich. Ich selbst teile die Turniereuphorie ja nicht, werde aber natürlich auch viele WM-Spiele im Fernsehen sehen. Aber eine WM hält mich nicht vom echten Fußballschauen ab − also davon, selbst Spiele zu besuchen. Es erschließt sich mir nicht der Reiz, wegen eines Fernsehabends oder gar eines Public-Viewing-Horrors ein Fußballspiel hinter der Bande eines Wiesensportplatzes oder am verstaubten Plastiksitz eines verfallenden Ostblockstadions auszulassen. Ganz zu schweigen davon, daß ja bald auch wieder Rapid die Saisonvorbereitung beginnt.

Zur gründlichen Vorbereitungslektüre für die WM gibt es im Heft mehr oder weniger interessante Geschichten zu den Teilnehmerländern. Lesenswert war aus historischem Interesse besonders die Betrachtung über die Reise der Schweiz zur WM 1950. Spannend an der statistischen Aufbereitung von Zahlen zu den teilnehmenden Ländern sind jeweils die genannten Daten zur Bevölkerungsgröße und der Anzahl der gemeldeten Spieler. Für Spanien werden 653.190 gemeldete Fußballer bei 46,7 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner genannt − daneben stehen die Niederlande mit 1.138.860 Spielern bei einer Bevölkerung von 16,7 Mio. Menschen. Eine interessante Korrelation. In Ghana gibt es wiederum bei 25,2 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner nur 27.500 gemeldete Fußballspieler. Möglicherweise läßt hier auch die Vergleichbarkeit der FIFA-Daten zu wünschen übrig.

Nicht nur mit einem Portrait über den Dann-doch-nicht-WM-Spieler Terrence Boyd findet Rapid Erwähnung, sondern auch in einem Artikel über die einstige Weltreisetätigkeit österreichischer Vereine, die zum Geldverdienen auf Tournée gingen. Rapid war Pionier in Südamerika und fuhr bereits 1949 dorthin. Nett ist die Illustration des Artikels mit Standbildern aus dem urlaubsvideoartigen Film, den Alfred Körner 1957 bei Rapids Amerika-Tournée drehte.

„Ich freue mich zwar, wenn das Team gewinnt und unsere Spieler eingesetzt werden, die Nationalmannschaft ist bei mir aber in der Abteilung Patriotismus angesiedelt, nicht im Sport.“ erklärt Corinthians-Paulista-Funktionär Luis Paulo Rosenberg im Interview. Letzter Punkt spricht das Grundproblem des Nationalmannschaftsfußballs und von diesen Turnieren an: Um Fußball geht es dabei nur nachrangig.

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