Mittwoch, 5. September 2012

Der tödliche Pass, 65



Rezension

Der tödliche Pass
Magazin zur näheren Betrachtung des Fußballspiels
Heft 65, Juli 2012
90 S.





Zur EM 2012, deren mediale Überwältigung glücklicherweise schon erholsam lange zurückliegt, ist hier wohltuend weniges und Abgeklärtes an Beobachtungen des sportlichen und medialen Geschehens zu lesen.
Nicht ungewöhnlich für eine Zeitschrift aus München gibt es etwas zum Champignons-League-Finale in ebendieser Stadt. Bayern-Fan Patrick Becker beschließt seine Reflexionen mit den Worten „Aber eigentlich ist mir noch immer nicht nach vielen Worten.“ 1860-Anhänger Claus Melchior ärgerte sich − zurecht − über Zeitungsschlagzeilen wie „Heute sind wir alle rot!“ und ein ganzseitiges Inserat der Deutschen Fußball-Liga „Am 19. Mai sind wir alle ein bißchen Bayern“. Ähnlich gelagerte nationalistische Unterstützungsverpflichtungsforderungen für andere Vereine desselben Landes sind mir auch hierzulande schwer suspekt.
Meine Stimmungslage war ja beim Betrachten des genannten Finales im Fernsehen sehr indifferent: Im Spiel zweier mir unsympathischer Vereine gewann eine der beiden Mannschaften auf unsympathische Weise. Auch jeder andere mögliche Ausgang wäre mir unsympathisch gewesen.

Der wichtigste Beitrag des Hefts ist der Artikel des Fußballfilm-Experten Jan Tilman Schwab über den Mythos vom sogenannten „Kiewer Todesspiel“ und die bisherigen Verfilmungen dieses Stoffes. Erst im Juni hörte ich u.a. dazu einen − vor Ort verlesenen − Beitrag des Osteuropakorrespondenten Thomas Urban auf der Grazer Konferenz Fußball, Macht und Diktatur. Er bezog sich ebenso wie Schwab auf Volodymyr Prystaiko, der die Geschichte ausführlich aufgearbeitet und den Mythos vom „Todesspiel“ einer sowjetisch-ukrainischen gegen eine nazideutsche Fußballmannschaft widerlegt hatte. Ohne die Greuel der deutschen Besatzung zu relativieren, denn manche Spieler wurden später tatsächlich umgebracht − allerdings nicht aufgrund dieses Spiels.
Spannend ist die neue geschichtspolitische Wendung, die der Stoff mit einem russischen Kinofilm namens Match genommen hat: „Denn alle heroischen Figuren sprechen in dem Film russisch − während die meisten ukrainisch sprechenden Figuren Kollaborateure sind. Für das Kiewer Todesspiel ist dies eine Neuerung: Die ideologischen Frontlinien verlaufen nicht mehr allein zwischen Deutschen und Russen − sie haben neue Grenzen und Feindbilder gefunden.“ schreibt Schwab.

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