Donnerstag, 12. März 2009

Ballesterer 40


Rezension


Ballesterer fm
Nr. 40, März 2009
66 S.







Viel, viel Geschichte - das läßt mir immer das Herz aufgehen. Der Ballesterer bietet diesmal viel zur Geschichte von Juden im (österreichischen) Fußball. So einen Essay des Historikers Michael John oder eine Folge der geschätzten Serie "Fußball unterm Hakenkreuz" über die (Wiener) Hakoah, 1924/25 erster Profi-Meister Österreichs. David Forster beantwortet hier die Frage, was aus den Spielern der Meistermannschaft nach 1938 wurde.

Sehr interessant ein Gespräch mit Ex-Kicker Hans Menasse (dem Vater) und John Bunzl. Menasse, 1930 in Wien geboren, ist 1938 als Kind den Nazis in einem Kindertransport nach London entkommen, hat dann bei Luton Town gespielt und ist 1947 nach Österreich zurückgekommen. Er erzählt über die Nachkriegszeit: "Als ich aus England zurück zur Vienna gekommen bin, hat niemand gesagt: 'Es spielt jetzt ein Jude bei uns', sondern ich galt quasi als englischer Legionär." [Update 15:54] Auch eine Art der Verdrängung: Man verpaßt ihm eine neue Identität, wodurch man die "alte" nicht akzeptieren und sich damit beschäftigen muß.
Er berichtet weiter: "Meine Teamkollegen und Gegenspieler waren junge Burschen, die wollten leben, Fußball spielen und mit Mädeln ausgehen. Alles, was im Krieg und davor vorgefallen war, wollten sie vergessen." Antisemitische Äußerungen und Handlungen auch in der Nachkriegszeit sind leider zur Genüge dokumentiert. Das Nicht-Drüber-Reden-Wollen war ein nachvollziehbarer psychologischer Schutzmechanismus, der allerdings den Tätern entgegengekommen ist und eine gesellschaftliche Aufarbeitung und damit Bewältigung verzögert bis verhindert hat.

Hannes Biedermann informiert über Hugo Meisls Bruder Willy Meisl, der von den 1920er bis 1960er Jahren ein international bedeutender Sportjournalist war. Reinhard Krennhuber und Alexander Nebel schreiben über die Annahme einer offensiv-philosemitischen Fankultur durch Fans von Ajax Amsterdam und Tottenham. Sie stellen diese "Umkehrung von Beleidigungen" in eine Reihe mit "der Aneignung des ursprünglich ebenfalls abschätzigen 'queer'-Begriffs bei Schwulen und Lesben oder in der Bezeichnung 'Nigga' im HipHop." Ganz andere Baustelle, aber seit jüngerer Zeit singt man bei Rapid im Block ja auch mit stolzer Brust "Wir sind Wiener, asoziale Wiener, schlafen unter Brücken..." und "Asoziale Wiener Proleten!", bei Auswärtsspielen stets lauter als die beleidigend gedachten Ursprungsgesänge ("Ihr seid...").

Weiters gibt es ein Interview mit Ivica Osim, ein Interview zum sich verschlechternden Verhältnis von Fans und Polizei in Deutschland und als krönenden Abschluß einen herrlichen Text über "Fanatiker" aus dem Jahr 1937:
"Da werden zum Beispiel Sprechchöre gebildet, man brüllt durch Trichter und Megaphone. Die Hauptdrucker ("Drucker" als alterthümliche Bezeichnung für Fanatiker, Anm.) in Budapest, die berüchtigte 'B-Mitte', haben gar eine Fahne und einen Dirigenten. Das allerneueste sind 'Freudenfackeln', die bei einem gelungenen Goal entzündet werden, um den Gegner zu schrecken. In England sind wieder Ratschen sehr beliebt, mit denen ein Höllenlärm erzeugt wird; in Holland werden Chöre vom ganzen Publikum angestimmt. In Italien ist man gern bereit, die Sitzpolster in die Arena zu schleudern, um seinem Unmut Luft zu machen."
Herrlich, einfach herrlich!

Die größte Freude am Heft war mir aber, daß es beim Barometer wieder die Grafik gibt, die die Entwicklung des aktuellen Werts im Laufe der Monate angibt. Wie das präsentierte Ergebnis der LeserInnenumfrage zeigt, war ich tatsächlich nicht allein mit dem Wunsch nach Rückkehr der Kurvengrafik. Hätte ich wirklich nicht gedacht.

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